Jakub Gierszał – zwischen Hamburg und Toruń
2017 spielte der außergewöhnlich talentierte junge Schauspieler Jakub Gierszał Hauptrollen in drei Filmen, die an Filmwettbewerb in Gdynia teilgenommen haben – in Najlepszy (Der Beste) in Regie von Łukasz Pałkowski, Zgoda (Frieden) in Regie von Maciej Sobieszczański und Pomiędzy słowami (Beyond Words) in Regie von Urszula Antoniak. In dem Letztgenannten wurde die Rolle eines jungen Rechtsanwalts polnischer Herkunft für ihn umgeschrieben. Es war kein Zufall, da Gierszał mit seinen Eltern fast von der Geburt an in Hamburg lebte. Nach elf Jahren kam er mit seiner Mutter nach Toruń zurück, sein Vater Marek Gierszał blieb in Deutschland, wo er bis heute als Film- und Theaterregisseur und Schauspieler arbeitet. Zuletzt konnte man Marek Gierszał auf den Brettern des Theaters Komödie am Kurfürstendamm in dem Stück Jacobowsky und der Oberst sehen. Er sagt, dass er sich gleichzeitig als Pole und als Deutscher fühlt, er liebt beide Völker und identifiziert sich mit ihnen. Allerdings schämt er sich auch für beide Völker, die Emigration ermöglicht ihm eine gewisse Distanz bei der Betrachtung sowohl der polnischen als auch der deutschen Heimat und trägt dadurch zu seiner künstlerischen Vielfältigkeit bei. Jakub Gierszał absolvierte genauso wie sein Vater die Staatliche Theaterhochschule in Kraków. Er debütierte als Schauspieler 2009 in der Rolle des Rebellen und Rockers Kazik im Film Wszystko, co kocham (Alles, was ich liebe) in Regie von Jacek Borcuch. W 2011 verkörperte er Dominik – einen Oberschüler, der im Film Sala samobójców (Saal der Selbstmörder) in eine tragische Abhängigkeit von der virtuellen Welt gerät. Für diese Rolle erhielt er den Zbyszek Cybulski Preis für junge Schauspieler. Ein Jahr darauf erhielt er während des 62. Internationalen Filmfestivals in Berlin die als Fenster zur Welt für junge, talentierte europäische Schauspieler geltende Auszeichnung „Shooting Star European Film Promotion“. 2013 spielte er zwei Hauptrollen in deutschsprachigen Filmen – den Maximilian in „Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder und den Felix in der Produktion „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ von Maria von Heland. Auf dem letzten Filmfestivals in Gdynia konnte man das Gesicht von Gierszał immer wieder in den neusten Kinoproduktionen, so z. B. in Pokot (Die Sput) von Angieszka Holland auf der Leinwand sehen. Diese Tatsache änderte nichts daran, dass er keine Auszeichnung erhielt, was höchstwahrscheinlich mit der Spezifik der polnischen Filmbranche zusammenhängt, in der ein junger Schauspieler sich einige Jahre lang behaupten muss. Zwar spricht Jakub Gierszał ein akzentfreies Deutsch, dennoch fühlt er sich als ein Pole. Er betont wiederholt, dass der Klang des Wortes „Patriotismus“ bei ihm automatisch eine Assoziation mit der „Politik“ hervorruft und ihn misstrauisch macht. Für ihn steht der Mensch sowie Respekt für seine Herkunft und Freiheit im Mittelpunkt. Er glaubt, dass der Begriff „Patriotismus“ auch die Sorge um die Zukunft und Zusammenarbeit beinhaltet. Wahrscheinlich aus diesem Grund ließ er sich gern auf die Zusammenarbeit mit Urszula Antoniak, die vor 25 Jahren nach Holland emigrierte und genauso wie er dank seinen Eltern erfahren hat, was es bedeutet, in der Fremde zu leben, ein.
Urszula Antoniak – zwischen Amsterdam und Warszawa
Urszula Antoniak absolvierte die Krzysztof-Kieślowski-Fakultät für Radio und Fernsehen an der Uniwersytet Sląski (Schlesische Universität in Kattowitz) und die holländische Nederlandse Film en Televisie Academie (NFTA) in Amsterdam. Interessant ist die Tatsache, dass sie in den polnischen Medien als eine holländische Regisseurin und im Ausland als polnische Regisseurin fungiert. 2006 realisierte sie in Holland eine Komödie über das Emigrantenmilieu Holländisch für Anfänger. Ihr Kunstfilm Nude Area erzählt auf eine sehr emotionale Art und Weise von den Problemen der (kaum stattfindenden) Integration zwischen Holländern und den dunkelhäutigen Migranten. Ein weiterer Film in Regie von Antoniak – Nothing Personal gewann fünf Preise in dem Internationalen Filmfestival in Locarno. Antoniak fühlt sich nach langen Jahren der Emigration in Amsterdam zu Hause. In Interviews erklärt sie dem polnischen Publikum, dass man in der Fremde einfach lebt und versucht, sich zu integrieren, um normal leben zu können. Der Prozess, den jeder Emigrant durchläuft, bedeutet eine langjährige Konfrontation mit der Umgebung. Polen ist für die ein besonderes Land, in dem alles fiktiv ist. Antoniak betont, dass ihre Filme von Sachen erzählen, die sie kennt. Deswegen wollte sie Beyond Words realisieren – ein Werk, in dem sie auf ihr polnisches Element zurückkam.
Beyond Words
Zwischen den Worten – zwischen Berlin und irgendwo in Polen
Der 28-jährige Michael arbeitet als Anwalt in Berlin und ist mit seinem Chef, dem 34-jährigen Franz befreundet. Der beauftragt Michael mit der ausländerrechtlichen Angelegenheit eines dunkelhäutigen Poeten aus Afrika. Ganz unerwartet bekommt Michael einen Besuch seines Vaters aus Polen, zu dem er kaum Kontakt hatte. Michael verwandelt sich durch diese Begegnung in einen Polen – er wird zu Michał und fängt an, Polnisch zu sprechen. Während des gemeinsamen Wochenendes versucht er, seinem Vater näher zu kommen sowie die eigene Identität und eine Antwort auf die Frage, wer er ist, zu finden. Das Resultat dieser Suche ist ein verstärkt empfundenes Gefühl der Entfremdung. Beyond Words spielt sich auf mehreren Ebenen ab, die Hauptfigur wird mit dem Land seiner Herkunft – Polen konfrontiert. Darüber hinaus versucht Michael herauszufinden, in wie weit er in Deutschland als ein Deutscher wahrgenommen und akzeptiert wird. In den lyrischen Filmsequenzen versucht er herauszufinden, ob er von den dunkelhäutigen Emigranten akzeptiert wird. Michael befindet sich inmitten von Emigranten und findet gleichzeitig keinen Weg, um dieses Milieu zu verlassen – er ist in der Schwebe.
Beim Betrachten der schwarz-weißen Aufnahmen Berlins weiß man sofort, dass der mit dem Goldenen Löwen des Filmfestivals in Gdynia ausgezeichnete Kameramann Lennert Hillege dieser Stadt und ihrer früheren Vision aus Der Sinfonie der Großstadt von Ruttmann verfallen ist. Die letzte Szene liefert die Antwort auf Michaels Suche nach dem Zugehörigkeitsgefühl. Ich glaube, dass die Mehrheit der Emigranten ihren Platz in der Fremde auf dieselbe Art findet wie er. Der Film von Antoniak wird von den Zuschauern in Polen nicht ganz verstanden – diese Problematik ist ihnen fremd. Leider passiert es häufig, dass die polnischen Künstler aus dem Ausland das polnische Publikum nicht erreichen und Anerkennung ihrer polnischen Filmkollegen nicht genießen können, solange sie in der Welt nicht anerkannt werden. Währenddessen wurde der Film von Antoniak bereits auf einem anderen Kontinent ausgezeichnet, er erhielt das Goldene Känguru, den Preis des australischen Filmvertriebs. Beyond Words ist ein Autorenfilm, ein sehr persönlicher Film von Urszula Antoniak als Regisseurin und Drehbuchautorin. Während der Presskonferenz des Filmfestivals in Gdynia betonte Antoniak, dass der Film keinesfalls politisch ist. Die Hauptfiguren des Films – Sohn und Vater – Jakub Gierszał und Andrzej Chyra werden von der originellen und charakteristischen Persönlichkeit von Justyna Wasilewska und dem deutschen Schauspieler Christian Löber begleitet. Der Opus Film, eine Firma, die u. a. durch die Produktion von „Ida“ von Paweł Pawlikowski bekannt wurde, hat den Film produziert. Als jemand, der aus Warschau vor 30 Jahren nach Berlin kam, empfehle ich allen deutschen, insbesondere berliner Zuschauern den Film Beyond Words – ohne Rücksicht darauf, wie man sich selbst bezeichnet. Den deutschsprachingen Zuschauern empfehle ich den Film wegen seines berliner Charakters. Sie sollen sehen, wie tief wir – Emigranten, die hier leben – uns der Stadt verbunden fühlen.
Agata Lewandowski